Vernebelte Erstattung bzw. Nichterstattung: Zufall oder System?

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Ob die zuständigen Vorgesetzten sehen, was da an Negativ-Image für die betreffende private Krankenversicherung aufgebaut wird? Es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass sich in den folgenden Fällen so viel Unlogik schriftlich und öffentlich präsentieren darf, gepaart mit Unwissen oder bewusster Verschleierung, ohne dass eine interne Kontrolle einschreitet. 

Kann man als Betroffener vor so viel Ignoranz einknicken? Sollte man nicht alternativ, insbesondere bei keiner oder einer völlig inadäquaten Antwort auf eine erste Anfrage, bei der Versicherung, ein zweites Schreiben an den Abteilungsleiter (Abtl. Erstattung) oder den Vorstand der Versicherung senden?

Das ist keine übertriebene Reaktion; sehen Sie selbst:

Erstattungsabzüge vernebelt, falsch erklärt und nicht aufgeschlüsselt 

Beispiel für ein dringend erforderliches Antwortschreiben zu einem Erstattungsbescheid und einem gänzlich ignorierten Erläuterungsschreiben:

Mit sog. "Berechnung der Leistungen" vom 22.02.2020 hat die private Krankenversicherung (NK) neben der Erstattung von 2.599,14 € einen an sich "erstattungsfähigen Betrag" von 3.365,52 € auf der "Leistungsabrechnung" ausgewiesen.

Die Differenz zwischen dem „Rechnungsbetrag“ und einem (an sich) „erstattungsfähigen Betrag“ in Höhe von 436,56 € einerseits und die Differenz zwischen dem „tatsächlichen Erstattungsbetrag („Zahlung“) und dem erwähnten erstattungsfähigen Betrag andererseits wird in dem Bescheid nicht ausgewiesen:
Durch Nachrechnen kann der Versicherte dann selber ermitteln, dass ihm weitere 766,38 € abgezogen wurden. - Einer der beiden Differenzbeträge ist wahrscheinlich durch den abgeschlossenen Tarif bedingt, z.B. durch einen vertragsgemäßen Prozentsatz der Erstattung,

der sich durch Nachrechnen aber nicht präzise erschließt: Es kann ein Rechenfehler dafür ursächlich sein, es könnten aber auch unterschiedliche Erstattungssätze für unterschiedliche Leistungsbereiche das Nachrechnen verunmöglichen? Es gibt im Erstattungsschreiben dazu keinerlei Anhaltspunkte; der Versicherte bleibt uninformiert und ohne Kontrollmöglichkeiten.

Soll er dieser Versicherung schlicht glauben und vertrauen?

Die Differenz zwischen dem „Rechnungsbetrag“ und dem sog. „erstattungsfähigen Betrag“ (436,56 €) dürfte nach Ansicht der Versicherung (NK) wohl die Summe der gebührenrechtlich vorzunehmenden Abzüge darstellen?

Wie sich dieser Abzugsbetrag im Einzelnen zusammensetzt, wird dem Versicherten nicht dargelegt: Es werden dazu lediglich zwei unterschiedliche Kennziffern als Verweis auf zwei unzutreffende Standard-Textblöcke mit den Nummern 10 und 39 angeführt.
 

Mindererstattungsgründe Nrn. 10 und 39
In den Textbausteinen 10 und 39 sind Gründe angegeben, weshalb die ungenannten und völlig unspezifizierten Beträge angeblich nicht "vergütet" (!) werden können. Angegebene Gründe bei den Nrn. 10, 39 für Minderung von Erstattungsleistung werden unter die Überschrift "kosmetische Maßnahmen" eingeordnet.

Angeführt werden Material- und Laborkosten als
a) "Mehrkosten für Verblendungen" (Hinweis Nr. 10)
b) "Mehrkosten für vollkeramische Prothetik" an den Zähnen 37, 38 (Hinweis Nr. 10)
c) "individuelle Farbgebung" (Hinweis Nr. 39)
d) "individuelle Zahnfarbenbestimmung im Seitenzahnbereich" (Hinweis Nr. 39)

Wie sich die Gesamtminderung der Erstattung in Höhe von 436,56 € auf die einzelnen Material- und Laborkosten aufteilt, kann mangels irgendeiner konkreten Angabe

weder der Versicherte noch eine Fachkraft für zahntechnische Abrechnung exakt kontrollieren.
Ein langjähriger Laborleiter und Zahnarzt kann aber feststellen, dass so oder so die Abzüge unzutreffend und somit unrechtmäßig erfolgt sind:
 

Abzüge unzutreffend berechnet und begründet
Zu a) Es sind ausweislich der Material- und Laborkostenrechnung des zahntechnischen Labors "Dental-Kunst" leicht erkennbar eindeutig keine Verblendungen an den Kronen auf den Brückenankerzähnen 37 und 38 erstellt und eingegliedert und auch nicht berechnet worden.


Zu b) Es sind keine Mehrkosten für eine vollkeramische Prothetik (Brücke)
(Freiendbrücke 036 mit Pfeilerkrone 37, Stützankerkrone 38) angefallen, sondern eher Minderkosten:
Wäre statt voll aus Zirkonoxid gefräst ganz konventionell eine Brücke mit Goldgerüst angefertigt worden, wären für die drei Einheiten (036, 37, 38) etwa 22 Gramm zum aktuellen Dentalgoldpreis von 55,- €/g benötigt worden (mind. 1.210 €).
Die verwendete gefräste Vollkeramik ist ganz offenkundig gemäß Ausweis auf der Material- und Laborkostenrechnung wesentlich preisgünstiger.


Zu c) Es ist keine "individuelle Farbgebung" auf der Laborrechnung aufgeführt, sondern die
grundsätzliche "Farbgebung durch Bemalen": Gefräste Zirkonoxidkeramik weist vom Werkstoff her keine typischen Zahnfarben, sondern eine einheitliche Grundfärbung des Rohlings auf. Der uni-farbene Rohling wird dann im dunkleren Zahnhalsbereich, im mittleren Dentinbereich und im Kauflächenbereich mit Schmelzfarben an das dreigeteilte Grundfarbenschema natürlicher Zähne angepasst. 

Es handelt sich also keineswegs um Kosmetik, sondern um fachgerechte Herstellung von Zahnersatz: Opake, ungefärbte Zirkonoxid-Kronen sind nicht eingliederbar, weil sie ohne wenigstens dreigeteilte Farbgebung (Kaufläche, Dentinkörper, Hals) entstellend wirken würden.
Zu d) Es ist keine "individuelle Zahnfarbenbestimmung im Seitenzahnbereich" erfolgt und
auch nicht auf der Laborrechnung ausgewiesen: Es sind keine kosmetischen Maßnahmen erfolgt, sondern notwendige Grundleistungen ästhetischer (naturnaher) Wiederherstellung.


Fazit:
Drei angegebenen Sachverhalte a), c) und d) und die angegebenen kosmetischen Gründe für den Erstattungsabzug von 436,56 € sind ganz offenkundig unzutreffend, weil gar keine "Mehrkosten" berechnet wurden, weil angeführte zahntechnische Leistung in Wirklichkeit nicht erfolgt und berechnet worden ist und weil die erfolgte "Vollkeramik" gegenüber "Gold-Keramik" preislich viel günstiger ist.

Es verbleibt die entscheidende Frage:

Woher kommt der Abzugsbetrag? Wie hoch ist er genau? Welche Laborpositionen wurden nicht berücksichtigt oder gemindert?

Es deutet viel daraufhin, dass einfach die vollen Laborkosten für zwei Zirkonkronen komplett gestrichen wurden, d.h. für diese elementar notwendigen zwei Kronen auf den Zähnen 37, 38 gar keine Erstattung gezahlt werden soll.

Es wird gemäß Laborrechnung für die zwei Zirkonkronen ein anteiliger Gesamtbetrag von 453,84 € ermittelt bzw. vermutet: BEB-Nrn. 2152, 2284, 2689, 2966 ? 

Dieser summierte Betrag kommt dem im Bescheid versteckten Abzugsbetrag der NK-Versicherung von 436,56 €) sehr nahe. Aber auch das ist angesichts der mitgeteilten Zahlen nur eine Vermutung, da einfach unumgängliche Grundinformationen fehlen.

Der NK-Versicherung sollte diese Stellungnahme mit Fristsetzung zur Offenlegung der Eckdaten Ihrer Erstattungsberechnung zugesandt werden: Das ist ein grundsätzliches Patientenrecht! Nach Ablauf der Frist sollte anwaltlicher Rat durch den Versicherten zur Prüfung einer Leistungsklage eingeholt werden.

 

 

Neuartige KFO-Rolle vor- und rückwärts 

Im zweiten Fall war die Erstreaktion „fassungsloses Staunen“. Es wurden sechs Attachments und ein Teilbogen lingual eingegliedert und mit 6x 6100 und 6x 2197 plus 6140 GOZ berechnet. Es handelte sich um die Eingliederung eines festsitzenden Retainers.

Die Beihilfe schreibt im Bescheid: 

Da keine schmelz- und dentinadhäsive Verbindung für das Eingliedern des Attachments erforderlich ist, sondern lediglich eine einfache und weniger aufwändige Art der ausschließlich schmelzadhäsiven Befestigung, vergleichbar mit dem Aufwand, der beim Eingliedern eines Klebebrackets auf eine natürliche Schmelzoberfläche erforderlich ist, ist die Berechnung der GOZ 6100 nicht gerechtfertigt. Nach der GOZ 2012 kommt die Berechnung der GOZ 2197 infrage.“ à  Erstattung 6x 6100 nicht, wohl aber 6x 2197.

Diesen Bescheid muss man mehr als zweimal lesen bevor einem dämmert, dass es nicht am Leser liegen kann, wenn er sich wirr fühlt: Berechnung der Nr. 6100 GOZ ist dann gerechtfertigt, wenn ein Attachment/Bracket o.Ä. eingegliedert wird, unabhängig von der Art der dabei verwendeten Klebe- bzw. Adhäsivtechnik.

Eine erste Antwort müsste also lauten: 

1. Die Beihilfe geht offenkundig von einem falschen Verständnis eines Attachments aus:

„Attachment“ ist der Oberbegriff für jede Art von  dental befestigtem Kraftüberträger in der Kieferorthopädie (OVG Rheinland-Pfalz (29.06.2016, Az. 2 A 10634/15.OVG). Zu den Attachments gehören u. A. Klebebrackets gem. Nr. 6100 GOZ. 

Urteil des OVG Rheinland-Pfalz (29.06.2016, Az. 2 A 10634/15.OVG):
"Brackets sind Halterungen, die fest auf Zähnen fixiert und zu Übertragung verschiedener Kraftvektoren geeignet sind. Je nach Therapieform kommen dabei unterschiedlich geformte Elemente (sog. Attachments) zum Einsatz, von denen Brackets nur eine ... Unterform darstellen. Andere Formen werden als Röhrchen (sog. Tubes), Knöpfchen, Power Ridges oder Pressur Points bezeichnet.“ …
In der "Allgemeinen Bestimmung" des Abschnitts G der Anlage 1 zur GOZ steht, dass unter anderem die Leistungen nach Gebührennummer 6100 GOZ die Materialkosten für Standardmaterialien enthalten sollen und in diesem Zusammenhang werden beispielhaft neben unprogrammierten Edelstahlbrackets und Edelstahlbändern auch "unprogrammierte Attachments" benannt. Hieraus wird erkennbar, dass der Verordnungsgeber selber auch Eingliederung anderer Attachments als der von Klebebrackets der Gebührennummer 6100 zuordnet. 

Zahnmedizinisch und gebührentechnisch kein Unterschied 

2. Der zweite Fundamentalirrtum der Beihilfe besteht darin, dass gem. amtlicher Novellierungsbegründung zur GOZ kein grundsätzlicher gebührentechnischer Unterschied besteht zwischen Schmelz-Adhäsivtechnik und Dentin-Adhäsivtechnik (Zitat): „Der Begriff Adhäsivtechnik wird als Oberbegriff für die Schmelz-Dentin-Adhäsivtechnik und die Schmelz-Adhäsiv-Technik verwendet.“ - Es ist ohne weitergehende gebührentechnische Bedeutung, ob „Schmelz-Adhäsivtechnik“ oder „Schmelz-Dentin-Adhäsivtechnik“ beim Kleben von Attachments angewendet wird

3. Der dritte – höchstwahrscheinlich sehr bewusste - „Irrtum“ der Beihilfe ist deren Behauptung, dass bei „Eingliedern eines Klebebrackets“ mit schmelzadhäsiver Befestigung neben der Nr. 6100 keine volladhäsive Befestigung nach Nr. 2197 GOZ hinzutreten könnte. Das ist grundfalsch gemäß Urteil des VGH München (06.06.2016, 14 BV 15.527/16) -
Urteil zur adhäsiven Befestigung (2197) von Brackets (6100 GOZ) - amtlicher Leitsatz:
„Bei einer Eingliederung eines Klebebrackets mittels Adhäsivtechnik sind neben Aufwendungen für Leistungen nach GOZ-Nr. 6100 auch Aufwendungen für Leistungen nach GOZ-Nr. 2197 beihilfefähig.“

4. Die Krönung der Fehlsicht der Beihilfe zu der Nebeneinanderberechnung der Nrn. 6100  und 2197 GOZ („adhäsive Befestigung“) ist folgende, sehr verwunderliche Faktenklitterung:

Die Beihilfestelle erstattet die GOZ-Ziffern 6100 nicht mit der Behauptung, dass die Berechnung dieser Leistung nicht gerechtfertigt wäre, sondern nur die Berechnung der GOZ-Ziffer 2197, also ohne 6x 6100 GOZ. - Darauf muss man antworten:

Bei der GOZ-Ziffer 2197 handelt es ich um eine fakultative Zusatzvergütung zu allen prinzipiell adhäsiv befestigungsfähigen „Grundleistungen“ wie Aufbauten/Verankerungen, direkte/ indirekte Restaurationen, Inlays, Kronen, Brackets/Bänder, Schienen und Verblockungen etc.:

Amtliche Novellierungsbegründung: „Die Leistung nach der Nummer 2197 gilt den Mehraufwand für eine adhäsive Befestigung z.B. eines plastischen Aufbaumaterials oder eines Schraubenaufbaus bzw. Glasfaserstifts ab“.

Das bedeutet, dass die Nr. 2197 GOZ im Grunde eine unselbständig anzuwendende Gebührennummer ist: Ohne Grundleistung keine zugehörige Mehrleistung! 

Im vorliegenden Fall wurden Attachments eingegliedert und verordnungskonform mit der GOZ-Ziffer 6100 berechnet. Die Eingliederung der Attachments wurden in Adhäsivtechnik mittels zahnärztlich durchgeführter „adhäsiver Befestigung“ vorgenommen: Somit ist eine zusätzliche Berechnung der GOZ-Ziffer 2197 möglich.